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Geschäftsauflösung: Kitchnapping IV
2002

Special Offer, Installation Bleisteiner/Waadt

Annegret Bleisteiner und Heidrun Waadt haben in „Special Offer“ die hochmodischen Plastik-, Haushalts- und Büro-Objekte von Authentics als eine Preis- und Sonderangebots-Lawine inszeniert: Becher, Trichter, Schüsseln, Gabeln, Einkaufstaschen, Stühle, in transparenter und opaker Farbgebung purzeln, allerdings recht geordnet aus dem Warenarsenal an der Wand und gruppieren sich, zwischen unendlicher Laufbandproduktion und abgegrenzten Stillleben, in einer imaginären Schaufenster-Dekoration. In dieser Arbeit hat Plastik bereits durch seine hochwertige industrielle Vorverarbeitung eine durchaus skulpturale Funktion, es ist ein virtueller Fetisch, der jede Objektgestalt und jede Materialqualität, vormals Metall, Holz, Glas oder Porzellan, annehmen und „aufsaugen“ kann. Die Preis- und Objekt-Lawine rhythmisiert die Kaufpanik beim Sonderangebots-Kollaps, aber auch die Lust an der Zusammenstellung und ästhetischen Beherrschung des Bunten, gerade durch das geradezu kühle klassische, abstrakte Rund-Design, in dem die Idee des Einwegobjekts und der Widerverwendbarkeit, der exklusiven Linie und der demokratischen Erwerbung sich die Waage halten.







Installation: Special Offer, Bleisteiner/Waadt,2002
Plastikgegenstände und Klebefolie
700 x 600 cm



Detail aus der Installation: Special Offer, Bleisteiner/Waadt, 2002 Plastikgegenstände und Klebefolie, 700 x 600 cm


Rede von Dr. Peter V. Brinkemper

Simultanhalle: Geschäftsauflösung: Kitchnapping IV


Geschäftsauflösungen haben oft, nicht nur für die uneingeweihten Kundinnen und Kunden, einen überraschenden Charakter. Der globale Markt ist ein anarchistischer Mahlstrom, ein vielgestaltiger Proteus, der keinen verschont. Lichter gehen aus, das Gemurmel der Bedienungen und der Kunden verstummt, die Kasse klingelt, wenn überhaupt, ein letztes Mal. Im Hintergrund wechseln Kapitalien und Anteile den Eigner, Konkurse oder freundliche und feindliche Übernahmen stehen bevor, die Kundenbindung bleibt erhalten, die alten Kaufgewohnheiten lösen sich auf oder erhalten eine neue Gestalt. Bevor der Laden dichtmacht und freundliche und unangenehme Gesichter verschwinden, bäumen sich die Sonderangebote noch einmal auf, sie stürzen wie herrenlose Warenwelten auf uns hernieder, überlaut tönt uns ein Fast Umsonst! entgegen, und in prallgefüllten Tüten feinabgepackt marschieren die Wünsche wieder hinauf, ohne je im Himmel der Sehnsüchte anzukommen. Währenddessen paradieren die klingenden Münzen auf dem duftenden Teppich der Wertschöpfung stumm vor sich ihn, eingerahmt von der unsterblich erogenen Götterspeise, der Lethe der antiken Mythologie, die auch den Soft-Eis-Stoff für die digitale Mutterbrust der heutigen Werbeindustrie abgibt. In den künstlichen Paradiesen der Shopping-Malls schlagen wir sie immer wieder, unaufhörlich und immerdar, die letzte aller Schlachten, die Schlacht um die Sonderangebote, um die absolute Befriedigung unserer männlichen, weiblichen und kindischen Sehnsüchte, um die Erfahrung unseres eigenes Selbst im Akt des Kaufs, im Vollzug der Wahl und im Genuß der Selbsteinschätzung unseres sozialen Status und unserer wirtschaftlichen Potenz und Impotenz. Wir sind das Ensemble unserer bezahlbaren Bedürfnisse, und so wollen wir uns auch, lustvoll, immer und überall erleben. Wir erhoffen die Perfektion und bleiben doch die ewigen Havaristen, die zum letztmöglichen Zeitpunkt absolut günstig zugreifen, wenn die anderen, die Produzenten und Dienstleister gerade einmal wieder Schiffbruch erleiden, während wir uns auf die nächste Angebotsplanke retten.

Heidrun Waadt und Annegret Bleisteiner haben die Einladung der Simultanhalle angenommen, und zur Reihe „Geschäftsauflösung“ eine raumbezogene Ausstellung, eine Rauminstallation mit 6 Elementen oder Stationen geschaffen. Gesponsort worden sind sie dabei von Hitschler und Authentics. „Kitchnapping IV“ ist Name, Werk und Programm zugleich. 2000 traten die Künstlerinnen mit weiteren Partnern zum ersten Mal unter diesem Logo in der Münchner Galerie Jörg Heitsch auf: Und seitdem geben sie ein Crossing Over zwischen traditioneller Malerei, seriell vervielfältigten Raumobjekten, der Präsentation und Verfremdung von industriellen Ready Mades, insbesondere Küchengeräten und schrill bunten Plastikartikeln. Der Name der Gruppe stammt bezeichnenderweise aus einem Videoclip von Bleisteiner und Waadt, in dem die alltäglichen Tätigkeiten der Hausfrau, zwischen lästiger Pflicht, technologischer Entlastung und subversiver Phantasie persifliert und transformiert werden. Die Komponenten Kitchen, Kitsch und Kidnapping erfahren eine humorvolle Steigerung ins Ironisch-Aggressive. Die Küche schlägt zurück. Die überlieferten Housewife-Tugenden Zuwendung, Fleiß und Treue erhalten einen monströsen Anstrich in einem grotesk vorprogrammierten Medien-Glück, das gar nicht zum alten Rollenmodell des unterwürfigen Weibchens passen will. Die Küche wird zum Ort der Entführung, der Verwurstung und der Entsorgung alter phallozentrischer Rollenklischees, die in Scheibchen enden, zur Arena des äußeren und inneren Kampfes der Geschlechter und Generationen. Auf den Pantoffelheld wartet nicht mehr die Bratpfanne oder das Nudelholz, sondern lauern Mixer und Kettensäge des bösen Mädchens in der erwachsenen Frau. Mehrfach haben die Künstlerinnen die Arbeitsvorgänge des Pressens und Saugens, des Kleckerns und Putzens, Backens und Bratens, Reibens und Schneidens mit Operationen aus der einstmals männlichen Werkstatt überlagert, verfremdet und vergröbert: dem Schrauben, Nieten, Stechen, Schmirgeln, Bohren, dem Zerplatzen, Abdichten, Zerbrechen, Verschrotten und Entsorgen. Auf diese Weise haben die Künstlerinnen mit ihren Mitsteiterinnen die Fassade von Küche und Haushalt demoliert, haben sie die Geschäftsstelle Kitchen/Küche als industriellen Gerätepark oder wohnliches Einbau-Design für die Dame des freistehenden Einfamilien-Hauses mit Gartensprinkleranlage und Carport hinter sich gelassen und das Prinzip der polymorph-perversen häuslichen Tätigkeit, der verrückte Vielfalt der Ansprüche und Anforderungen zwischen Hure, Heimchen, Heimwerkerin und Karriere-Schlampe in der universalen Kultur des Plastik und der überdrehten Rituale verzweifelt erlebnishungriger Fast-Food-Singles neu erfunden: Plastik, das ist das Material der modernen Seele, der seit seiner Erfindung immer noch allseits formbare, stofflose Stoff mit der unsinnlichen Sinnlichkeit, der schattenhaft abstrahierenden Transparenz und der künstlichen Buntheit. Plastik ist die konkrete Abstraktion des Alltags, die auch im Erwachsenen die unterdrückte Kindergier nach der Stillung einfachster, natürlicher Befriedigungen immer wieder anzufachen verspricht. In der Simultanhalle zeigt die Gruppe, wie weit das lustvolle, frech-aggressive Spiel mit der Auflösung und Umfunktionierung von Farben, Formen, Funktionen, Rollen, Selbst- und Fremdbildern gehen kann, wenn man einen großen Ausstellungsraum in 6 Stationen durchinszeniert.


Annegret Bleisteiner und Heidrun Waadt haben in „special offer“ die hochmodischen Plastik-Haushalts- und Büro-Objekte von Authentics als eine Preis- und Sonderangebots-Lawine inszeniert: Becher, Trichter, Schüsseln, Gabeln, Einkaufstaschen, Stühle, in transparenter und opaker Farbgebung purzeln, allerdings recht geordnet aus dem Warenarseal an der Wand und gruppieren sich, zwischen unendlicher Laufbandproduktion und abgegrenzten Stillleben, in einer imaginären Schaufenster-Dekoration. In dieser Arbeit hat das Plastik bereits durch seine hochwertige industrielle Vorverarbeitung eine durchaus skulpturale Funktion, es ist ein virtueller Fetisch, der jede Objektgestalt und jede Materialqualität, vormals Metall, Holz, Glas oder Porzellan, annehmen und „aufsaugen“ kann. Die Preis- und Objekt-Lawine rhythmisiert die Kaufpanik beim Sonderangebots-Kollaps, aber auch die Lust an der Zusammenstellung und ästhetischen Beherrschung des Bunten, gerade durch das geradezu kühle klassische, abstrakte Rund-Design, in dem die Idee des Einwegobjekts und der Wiederverwendbarkeit, der exklusiven Linie und der demokratischen Erwerbung sich die Waage halten.

Auf der anderen Seite der Simultanhallen-Bühne hat Annegret Bleisteiner ein Gegengewicht geschaffen, mit „stairway to heaven“, einer hochaufragenden Leiter, an der ganz gewöhnliche Plastiktüten träge und fast unlesbar massiert an Haken hängen. Gewöhnlich stehen die Plastiktüten für das Shopping-Finale, für den mehr oder weniger ruhmreichen Übergang zwischen Einkauf, Warenübergabe und eigenhändigem Transport nach Hause. Die mit Trinkwasser gefüllten Beutel reflektieren die Beliebigkeit und Anmaßung der Überflußgesellschaft, den Kauf immer wieder aufs neue mit dem bunten Warenzeichen der meist nur einmal verwendeten Tragetaschen zu überziehen. In der Plastiktragetasche feiert das Haben, die Erwerbung des Neuen ihren höchst vergänglichen Triumph, was auch immer gekauft worden sein mag, und zugleich folgt die Abnutzung der glitzernden Warenhülle auf den Fuß folgt. Von der Shopping-Tragetasche zur Müll- und Penner-Tüte ist es ein kurzer Weg.

Heidrun Waadt und Annegret Bleisteiner haben in „genetic game“, einer interaktiven Computerarbeit die Ansprüche des Einzelnen mit seinem Selbstbild und mit den Anforderungen an den möglichen Partner aufs Korn genommen. Die Ausstellungsgäste können sich das Menu der Personen- und Typ-Gestaltung auf einer virtuellen DNA per Mausklick selbst zusammenstellen und die Resultat per Sofortbild beobachten und korrigieren. Die ständige Abwandlung der äußeren Erscheinung, das genetische Zappen ist fast noch reizvoller als die Entscheidung, in welchem Stadium der Ausdruck, per Print erfolgen soll. Den Künstlerinnen ging bei dieser Arbeit nicht um die Fiktion perfekter, lupenreiner Models und Stars zwischen Paris und Hollywood sondern um die fragwürdige Kombinierbarkeit von menschlichen und allzumenschlichen Eigenschaften, Schwächen, Makeln und Fehlern. Der Gottesdienst des Personenkults wird durch das heterogene Zusammenbasteln einer ganz normalen Persönlichkeit ersetzt. Die digitalen Ergebnisse sind keine reinrassigen und hochspezialisierten Klones, sondern sympathische oder abstoßende Bastarde, Promenadenmischungen mitten aus und für den Alltag. Auf diese Weise stellt sich wie von selbst beim User eine Zufriedenheit mit seiner eigenen genetischen Realität ein, die ihn resistenter gegen die medialen Leit- und Neidbilder macht.

Soviel ist nach dieser vergnüglichen Ausstellung gewiß: Ob mit Plastik, mit Wasser, mit Schokolade oder Götterspeise, subversives Kitchnapping erfordert eine analoge Vielseitigkeit in künstlerischer und handwerklicher Hinsicht zwischen und hinter den digital gereinigten Werbewelten. Darin beweisen alle Künstlerinnen die gleiche Konsequenz.

Dr. Peter V. Brinkemper